Erforderlicher Wandel von der Erlebnis- zur Bekenntnisgeneration

Hessischer Vertriebenenverband stellt sich den Herausforderungen für die Zukunft

Delegierte aus den Kreisverbänden des Bundes der Vertriebenen (BdV) und der Landesverbände der einzelnen Landsmannschaften in Hessen trafen sich auf Einladung des BdV-Landesverbandes Hessen zu Ihrem 75. Landesverbandstag im Wiesbadener Haus der Heimat.

BdV-Landesvorsitzender Siegbert Ortmann konnte neben den zahlreichen Delegierten aus ganz Hessen zu Beginn der Veranstaltung auch Ehrengäste begrüßen, - so den Landtagsabgeordneten Andreas Hofmeister und Margarete Ziegler-Raschdorf, Landesbeauftragte der hessischen Landesregierung für Heimatvertriebene und Spätaussiedler.

Als Vorsitzender des Unterausschusses für Heimatvertriebene, Aussiedler, Flüchtlinge und Wiedergutmachung dankte Hofmeister für den stets konstruktiven Austausch mit den Vertreterinnen und Vertretern des BdV und der zugehörigen Landsmannschaften. Dabei ging Hofmeister in seiner Ansprache auch auf die Verantwortung der Politik ein, bei der Aufarbeitung der historischen Erinnerung und bei der Bewahrung des kulturellen Erbes der deutschen Heimatvertrieben und Spätaussiedler mitzuwirken. "Bis zu 15 Millionen Deutsche der ehemaligen deutschen Ostgebiete, des Sudetenlandes und im östlichen Europa wurden im Umfeld des zu Ende gehenden zweiten Weltkrieges vertrieben. Daraus ist der Politik der Bundesrepublik Deutschland eine Verpflichtung erwachsen, die nicht zuletzt im Bundesvertriebenengesetz ihre rechtliche Abbildung erhielt und bis heute gilt. Es ist eben nicht Folklore, sondern ein gesetzlicher Auftrag, dem wir nachzukommen haben und wofür verantwortliche Politik auch einzustehen hat; dies nehmen wir in Hessen ernst!", so Hofmeister in seiner Ansprache an die Delegierten.

Der Unterausschuss, den er vorstehe, sei nicht nur ein Instrument, um das Themenfeld im politischen Betrieb abzubilden, es sei für den BdV und den Landsmannschaften vielmehr entscheidend, dass die dafür erforderlichen Fördermittel vom Hessischen Landtag verlässlich bereitgestellt würden. Hessen könne sich hierbei im bundesweiten Vergleich mehr als sehen lassen. Es sei den Beteiligten in diesem Bereich auch bewusst, dass diese Fördermittel unerlässlich seien, um Traditions- und Brauchtumspflege, aber auch eine zukunftsorientierte Arbeit, und das zum übergroßen Teil im Ehrenamt, leisten zu können.

Die Geschichte der Heimatvertriebenen sei leidvoll und hoffnungsvoll zugleich. Da sei einerseits die Tragödie, in ihrer Heimat geächtet und fortgejagt zu werden und von heute auf morgen alles zu verlieren, und andererseits der Mut, daran nicht zu zerbrechen. Im Gegenteil, man habe sich in der neuen Heimat eingebracht, mit aufzubauen, sich einzubringen in die Gesellschaft, Wirtschaft und Politik zur Gestaltung eines friedlichen Gemeinwesens. Diese beispielgebenden Leistungen seien teil der Geschichte unseres Landes und müssten im kollektiven Gedächtnis verankert bleiben.

Der Wandel von der Erlebnis- zur Bekenntnisgeneration bringe für den BdV, aber auch gesamtgesellschaftlich, enorme Herausforderungen. Neue Zugangsformen, neue Vermittlungsformate und Plattformen in den sozialen Netzwerken seien das eine, aber auch moderne Ausstellungskonzepte würden dazu gehören. Hofmeister dankte in diesem Zusammenhang den Verantwortlichen des hessischen Vertriebenenverbandes für ihr Engagement, die zur Bewältigung ihrer vielfältigen Ziele und Aufgaben diesen Weg in den sozialen Medien konsequent verfolgen würden.

Auf die Situation in der Ukraine eingehend, erhielten Freiheit und die Notwendigkeit zur stetigen Verteidigung derselben mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine eine neue Relevanz. - Auch der Begriff "Heimat ist Menschenrecht" bekäme in diesen Tagen eine neue Bedeutung.

In ihren Grußworten überbrachte die Beauftragte der Hessischen Landesregierung die Grüße des Ministerpräsidenten Boris Rhein und des Innenministers Peter Beuth. Zu Aufgaben und Zielen des Bundes der Vertriebenen eingehend, bemerkte sie, dass der Themenbereich Flucht und Vertreibung so präsent wie seit Jahrzehnten nicht mehr sei. Das mache deutlich, wie ungemein wichtig die Arbeit des Bundes der Vertriebenen und der Landsmannschaften auch heute noch sei. Diese Themen müssten nach außen kommuniziert werden und dafür bedürfe es eines großen und stetigen Einsatzes aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. "Dafür möchte ich Ihnen im Namen der Hessischen Landesregierung herzlich und aus voller Überzeugung danken. - Wir unterstützen Sie bei Ihren Aktivitäten gerne.

Die Kultur der Vertreibungs- und Herkunftsgebiete bedarf auch künftig einer Pflege hier in Hessen, wenn die Erlebnisgeneration von Flucht und Vertreibung nicht mehr unter uns sein wird. Wir sind es unseren Vorfahren aus Schlesien, Ostpreußen, Pommern, Böhmen und Mähren, Siebenbürgen, Ungarn und aus Russland und den ehemaligen Sowjetrepubliken schuldig, dass wir dieses gemeinsame deutsche Erbe im Bewusstsein erhalten, dass wir es an Unkundige vermitteln und an die nächsten Generationen weitertragen." In diesem Zusammenhang dürfe man niemals müde werden, vor den katastrophalen Folgen von Flucht, Vertreibung und Deportation sowie dem menschlichen Leid, das davon verursacht wird, zu warnen.

Insofern sei es ihr ein besonderes Anliegen, eine zeitgemäße digitale Lern- und Informationsplattform für interessierte Bürgerinnen und Bürger sowie Schülerinnen und Schüler zu schaffen, die der BdV unter dem Thema "Flucht und Vertreibung im globalen Kontext“ derzeit unter seiner Federführung erstelle. "Das ist ein ganz enormer Baustein für die Erinnerungskultur, der in Deutschland seinesgleichen sucht. - Ich freue mich auf das Ergebnis."

In diesem Zusammenhang sei auch das bereits fertig gestellte digitale und interaktive Infoportal der Interessengemeinschaft der Deutschen aus Russland (IDRH gGmbH) zu nennen, das in spannender Weise über die Geschichte und Kultur der Deutschen aus Russland informiere und ganz besonders auch im Schulunterricht eingesetzt werden solle, für den es in diesem Bereich bislang keine Unterrichtsmaterialien gegeben habe.

BdV-Landesvorsitzender Ortmann ging in seinem allen Delegierten vorliegenden umfangreichen Tätigkeitsbericht des vergangenen Jahres ein. Er wies hierbei besonders auf die Einführung einer gemeinsamen Landesgeschäftsstelle für alle in Hessen organisierten Landsmannschaften, die Ausrichtung und Verankerung und künftige Fortführung der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in den sozialen Medien sowie auf die filigrane Vielfalt der Projekte bei Ausstellungen und Veranstaltungen im Kulturbereich hin.

Diese erfolgreiche Umsetzung der vom hessischen BdV-Landesverband durchgeführten vielfältigen Arbeiten und auch die künftig geplanten Projekte seien jedoch erst durch die beispiellose finanzielle Unterstützung der hessischen Landesregierung und der Koalitionsparteien im Hessischen Landtag möglich geworden. Für die Bereitstellung dieser öffentlichen Mittel sei man den politischen Verantwortlichen außerordentlich dankbar!

Der umfangreiche Terminkalender auch für das Jahr 2023 zeige die Fülle der Anliegen, Aufgaben und Ziele des hessischen BdV-Landesverbandes. Dabei seien unter anderem besonders zu erwähnen: die Eröffnung des Schwerpunktbereiches „Historische Erinnerung und kulturelles Erbe: Vertriebene und Spätaussiedler in Hessen seit 1945“ an der Justus-Liebig-Universität in Gießen, der traditionelle Tag der Vertriebenen beim 60. Hessentag in Pfungstadt, das 70-jährige Bestehen des BdV-Landesverbandes Hessen mit einem Festakt im Hessischen Landtag, der traditionelle Hessische Gedenktag für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation mit dem zentralen Tag der Heimat und die turnusmäßige Verleihung des Preises "Flucht, Vertreibung, Eingliederung" durch die Hessische Landesregierung unter dem Motto: "70 Jahre Bund der Vertriebenen in Hessen."

Die Delegierten des BdV-Landesverbandstages verabschiedeten unter der Regie des Verbandspräsidiums auch die Jahresrechnung für das vergangene und den Haushaltsplan für das laufende Jahr. - Der Kreisvorsitzendes des BdV-Kreisverbandes Odenwald, Günther Wytopil, sprach zuvor bei der Totenehrung Worte des Gedenkens und erinnerte dabei an die vielen Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation, von Krieg und Gewalt weltweit sowie an zahlreiche Verstorbene im Ehrenamt in den landesweiten Organisationen der Heimatvertriebenen.

Fotos: BdV-Landesverband Hessen