Die Wolfskinder - eine Kindergeneration nach 1945

Eine Suche nach der eigenen Identität

Es war ganz still in der Aula der Wiesbadener Elly-Heuss-Schule. Der große Saal war bis auf den letzten Platz mit Schülerinnen und Schülern der 12. Klasse gefüllt. Von der dunklen Bühne kamen dramaturgisch vorgetragene Texte mit unterlegten Musikklängen.

Der Landesverband des Bundes der Vertriebenen (BdV) in Hessen hatte zur einer Veranstaltung in das hessische Gymnasium im Herzen von Wiesbaden eingeladen, zu einem Thema, mit dem viele Menschen unserer Tage nicht viel anfangen können: "Die Wolfskinder - Eine Kindergeneration nach 1945." Rose-Lore Scholz, Kulturreferentin des BdV-Landesverbandes Hessen, hieß hierzu Siegbert Ortmann, Landesvorsitzenden des Bundes der Vertriebenen (BdV), Margarete Ziegler-Raschdorf, hessische Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, Markus Gaßner, Stadtrat der Landeshauptstadt Wiesbaden, Dr. Christopher Spatz, Autor und Träger des Ostpreußischen Kulturpreises für Wissenschaft und Gregor Gleitsmann, Geschichts- und Musiklehrer der Elly-Heuss-Schule willkommen.

Schauspielerin Anja Bilabel hatte sich der Geschichte dieser sogenannten "Wolfskinder" mit einem "Hörtheater" angenommen, einer spannenden Melange aus Zeitzeugenberichten, Literatur und Dokumentation, umrahmt von musikalischen Impressionen. Für die begleitenden Klänge und musikalischen Effekte sorgte die Schlagzeugerin Salome Amend.

Das Doku-Feature beleuchtete in verschiedenen Facetten die vielerorts vergessene Geschichte deutscher Kriegskinder im ehemaligen Ostpreußen, die sich nach dem Ende des zweiten Weltkrieges vor russischen Soldaten in Sicherheit zu bringen versuchten, heimat- und elternlos “verwilderten” und daher “Wolfskinder” genannt wurden, - einer Geschichte über die Bedeutung von Identität, Menschenwürde und Mitgefühl.

Die Schauspielerin ließ in ihrem Hörtheater mehrere Autorinnen zu Wort kommen, die sich dieser Kinder in Büchern annahmen: Die Journalistin Sonya Winterberg ist eine der Autorinnen, die letzte Zeitzeugen dieser dramatischen Jahre besucht hat. Nach jahrzehntelangem Schweigen erzählen sie erstmals von der Angst, dem Hunger und der lebenslangen Einsamkeit. Aber auch von Menschen, die ihnen das Überleben ermöglichten und den Weg in die Zukunft wiesen.

Der Ort der Handlung: Ostpreußen im Jahre 1941, ein Aufmarschgebiet für den Angriff auf die Sowjetunion. Ende 1944 stand die Rote Armee ihrerseits an der ostpreußischen Grenze. Hunderttausende flohen, um befürchteter Rache und Vergeltung zu entgehen. Immer wieder gingen Kinder auf der Flucht verloren oder erlebten den Tod der eigenen Familie. Über 20.000 deutsche Kinder wurden ab 1944 in Ostpreußen von ihren Familien getrennt - viele für immer. In der nunmehr besetzten Provinz mussten andere ohnmächtig mit ansehen, wie ihre Geschwister verhungerten, die Großeltern aus Schwäche starben oder die Mutter einer Epidemie erlag. Dazu kamen die schrecklichen Greuel rachedurstiger Rotarmisten. Auf sich allein gestellt, überlebten diese Kinder in den Wäldern des Baltikums. - Man nannte sie "Wolfskinder". Seit Anfang der neunziger Jahre kämpfen die „Wolfskinder“, die sich seit September 1990 im litauischen Vilnius im Verein "Edelweiß-Wolfskinder" engagieren, um die Anerkennung als deutsche Staatsbürger.

Aus dem Roman "Das Wiegenlied der Wolfskinder" der Autorin Johanna Ellsworth erlebten die Anwesenden das Schicksal einer Familie aus dem ostpreußischen Gerdauen und damit das Martyrium der Zeitzeugin Brigitte Trennepohl, mit dem unglaublichen Willen, zu überleben. Der Tod ihrer Mutter lässt sie mit acht Jahren mit ihrem kleinen Bruder alleine zurück. Schon bald nachdem sie bei einem litauischen Bauern Unterschlupf finden, werden die Kinder getrennt. Fortan müssen sie als "Wolfskinder" ihren Leidensweg alleine gehen.

Zwei Mitglieder der Ostpreußischen Landsmannschaft in Hessen, Hannelore Neumann und Gerhard Schröder, selbst einstige Wolfskinder, standen zum Schluss den Schülerinnen und Schülern für Fragen zur Verfügung. Dabei erfuhren die Jugendlichen, dass Hannelore Neumann, mit drei Jahren von ihren Eltern getrennt, erst nach 36 Jahren mit Hilfe von Suchdiensten ihre wahre Identität erfuhr.