Der siebenbürgisch-sächsische Vater, Doktor der Theologie, unterrichtet gleich nach Kriegsende an der Universität Göttingen, kümmert sich sehr aktiv um Siebenbürger Sachsen, die es nach dem Zweiten Weltkrieg nach Deutschland verschlagen hat, erforscht siebenbürgische Kirchengeschichte und ist zwei Jahre Professor in England. Die deutsche Mutter hält dem Vater den Rücken frei, sie muss sich um vier Kinder kümmern. Beide Eltern sind sehr strenge Erzieher – „keine Widerrede“ – und wenn doch, wird der Wille der Aufmüpfigen gebrochen. Im schönen Kaminzimmer werden sie maßregelt und drakonisch bestraft, da, wo die Singabende mit siebenbürgischen Gästen für Außenstehende ach so harmonisch klingen und der Vater so laut lachen kann. Und dann stirbt der Vater, noch nicht einmal 40 Jahre alt. So beginnt die Kindheit von Bodo, dem „Problemkind“, der nach Anerkennung der Eltern ringt. Bodo ist der Protagonist des Romans „Die Schuhe der Väter“ von Wolfgang Martin Roth.
Der Autor kam am 29. August zur Lesung aus seinem Buch ins „Katharina von Bora-Haus“ nach Rüsselsheim. Eingeladen wurde er vom Kulturreferat des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Hessen, diese Veranstaltung wurde vom Hessischen Ministerium des Inneren, für Sicherheit und Heimatschutz gefördert. Das Thema weckte die Neugierde vieler Interessierter. Nach der Begrüßung durch Ortrun Maurer, die den Gast kurz vorstellte, konnte der Lebensweg von Bodo fragmentarisch erfahren werden.
Es ist ein im beruflichen Bereich sehr erfolgreiches Leben, im Privaten voller Brüche. Die Aufarbeitung beginnt mit dem Eintritt in den Ruhestand, der Nachlass des Vaters wird von Bodo gesichtet. Er stellt sich schonungslos den Verwerfungen seines Privatlebens, schließt Frieden mit seinen Geschwistern. Vor allem von der Durchforstung der gesamten Korrespondenz, die auch alle vom Vater geschriebenen Briefe als Kopien beinhaltet, den Recherchen in Archiven, erhofft sich Bodo Antworten auf die Frage, in welchem Maße sein Vater die Ideologie des Nationalsozialismus verinnerlicht hatte. Es sind sehr aufschlussreiche, historische Erkenntnisse, die siebenbürgische Leser erwarten.
Der Autor hat seinem Roman als Motto ein Zitat von T. S. Eliot vorangestellt: „Uns aber bleibt das Sich-Trauen, Sich-Bemühen. Alles andere ist nicht unsere Aufgabe.“ Ist das der Rat des erfolgreichen Psychotherapeuten, Gruppenanalytikers, Theologen Wolfgang Martin Roth, den er seinem Alter Ego Bodo widmet? Und somit auch jenen, die beim Lesen seines Romans auf seltsame Weise eigenen Erfahrungen, ähnlichen auch traumatischen Erlebnissen begegnen? Kann man sich tatsächlich den Fußtapfen, den „Schuhen der Väter“ (und Mütter) entziehen, um zu sich selbst zu finden?
Beim Gespräch mit den zahlreich erschienenen Zuhörern wurde der Autor gefragt, was autobiographisch, was literarische Fiktion sei. Die Antwort: „Alles, was im Roman weh tut, ist geschehen.“ Für eine Bewältigung sind „Verzeihung und Vergebung“ große Worte, aber „ich habe für mich gefunden: Nie werde ich vergessen, was ich erinnern kann“. Es gebührt Roth Dank für den Mut, dass er diesen außergewöhnlichen Roman geschrieben hat, ein Denkmal für viele Biographien von Nachkriegskindern.
(Christa Heinrich)
Florstadt, den 08.09.2025



