Gedenken und Nachdenken

Hessischer Gedenktag und zentraler Tag der Heimat im Biebricher Schloss zu Wiesbaden

Die Hessische Landesregierung und der hessische Landesverband des Bundes der Vertriebenen (BdV) hatten zum 5. Hessischen Gedenktag für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation und zum zentralen Tag der Heimat unter dem Leitwort "Unrechtsdekrete beseitigen - Europa zusammenführen" ein weiteres Mal in die Rotunde des Barockschlosses zu Wiesbaden-Biebrich eingeladen.

Neben dem Hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier, dem Landtagspräsidenten Norbert Kartmann, den Ministern Stefan Grüttner (Soziales und Integration) und Prof. Dr. Alexander Lorz (Kultur) sowie der Landesbeauftragten für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, Margarete Ziegler-Raschdorf, konnte BdV-Landesvorsitzender Siegbert Ortmann die Landtagsabgeordneten Ulrich Caspar (CDU), Klaus Diez (CDU), Wolfgang Greilich (FDP), Stephan Grüger (SPD) Horst Klee (CDU), Andreas Hofmeister (CDU), von der Stadt Wiesbaden die Stadtverordnetenvorsteherin Christa Gabriel, den Stadtrat Markus Gaßner in Vertretung des Oberbürgermeisters Sven Gerich und Vertreter von Sozialverbänden, von BdV-Nachbarverbänden, sowie Angehörige landsmannschaftlicher Gruppierungen und Besucher aus ganz Hessen begrüßen.

In seinen Begrüßungsworten ging Ortmann auf die Bedeutung dieses Tages, sowohl auf den Hessischen Gedenktag für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation als auch auf den zentralen Tag der Heimat ein: "Dieser staatliche Gedenktag ist deshalb so wichtig, weil er doch Wesentliches in Erinnerung ruft, vor dem Vergessen bewahrt und zum Nachdenken anregen soll. Und damit steht dieser Gedenktag gleichzeitig im Zusammenhang mit einer Erinnerungskultur, die sich jedoch staatlich nicht verordnen lässt. So bleibt es vor allem bei den Vertriebenenorganisationen, den Landsmannschaften und in erster Linie bei deren Dachverband, dem Bund der Vertriebenen, der Allgemeinheit ausreichend seriöse Angebote zu machen, um sich den Fragen von Gegenwart und Zukunft vor dem Hintergrund der leidvollen Vergangenheit zu stellen. In diesem Jahr steht der Tag der Heimat beim Bund der Vertriebenen bundesweit unter dem besonderen Leitwort „Unrechtsdekrete beseitigen – Europa zusammenführen“ und greift damit im doppelten Sinne das Anliegen der Vertriebenen und Spätaussiedler für ein vereintes Europa auf. So ist der Einsatz für die grenzüberschreitende Verständigung auf allen Verbandsebenen in seiner Bedeutung heute nicht hoch genug einzuschätzen." Zu den auch in Deutschland zunehmend rechtspopulistischen und rechtsextremen Tendenzen sagte Ortmann: "Als Bund der Vertriebenen sind wir zwar parteipolitisch neutral, doch sollten wir nach meiner festen Überzeugung dieser unsäglichen Entwicklung entschieden, vor allem aber geschlossen nach den uns gegebenen Möglichkeiten entgegenwirken."

Markus Gaßner hatte in seinem Grußwort die enge Verbindung der Heimatvertriebenen mit Wiesbaden hervorgehoben und erinnerte in diesem Zusammenhang an die Bedeutung des Wiesbadener Abkommens. Dabei lobte er die hohe Symbolkraft, die nur wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg von diesem Geschehen ausging. Gemäß ihrem Auftrag, an einer gerechten Völker- und Friedensordnung in Europa mitzuwirken, wurde bereits am 4. August 1950 in Wiesbaden ein Übereinkommen zwischen Vertretern des Tschechischen Nationalausschusses und der Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung sudetendeutscher Interessen getroffen. Dieses sogenannte „Wiesbadener Abkommen“ sei um so höher zu bewerten, da es zu einer Zeit getroffen wurde, als der gewaltsame Verlust von Haus, Hof und Heimat noch tiefe und unvernarbte Wunden hinterlassen habe.

„Heimat vermittelt eine kraftvolle Botschaft, eine Botschaft, die nicht zutiefst Vergangenes meint, sondern die für den Zusammenhalt der Gesellschaft steht.“ Ministerpräsident Volker Bouffier ging in seiner Ansprache zum "Hessischen Gedenktag" mit diesen Worten auf den Begriff „Heimat“ ein, der derzeit in unserer globalisierten Welt für viele Menschen ein Gefühl von Geborgenheit verkörpere. Hessen wurde für rund eine Million Vertriebene und Flüchtlinge - darunter 400.000 Sudentendeutsche, 200.000 Schlesier und 100.000 Ostpreußen - nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem neuen Zuhause. Die Aufnahme und Integration dieser Menschen zähle zu den größten Erfolgen in der hessischen Geschichte. Bouffier würdigte in diesem Zusammenhang die Leistung der Vertriebenen beim Wiederaufbau dieses Landes nach dem Krieg: „Sie haben einen entscheidenden Anteil daran, dass Hessen heute so erfolgreich dasteht.“ Es sei nach seinen Worten wichtig, die Erinnerung an das Schicksal der Vertriebenen wach zu halten: „Wir müssen junge Menschen mit diesen historischen Erfahrungen konfrontieren." Deswegen sei das Thema "Flucht und Vertreibung der Deutschen nach dem Krieg" in hessischen Schulen seit dem Schuljahr 2017/18 im Kerncurriculum für die Oberstufe im Fach Geschichte festgeschrieben.

Gleichzeitig richtete der Ministerpräsident auch den Blick auf die derzeit herrschende Flüchtlingsbewegung und die für ganz Europa daraus erwachsenden humanitären Herausforderungen: „Europa leistet in der Migrationsbewegung humanitär sehr viel. Das ist aber nur machbar, wenn wir auch begrenzen und steuern, Integrationsbereitschaft einfordern und die Sicherheit im Blick haben. Stärker als jemals zuvor brauchen wir den europäischen Geist und die Besinnung auf gemeinsame europäische Werte, um dieses größte Friedensprojekt in der Geschichte nicht zu gefährden.“ Ganz im Sinne der Charta der Vertriebenen von 1950 müsse es das gemeinsame Ziel sein, immer wieder für ein geeintes Europa einzutreten, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können. „Und deswegen sind Nationalismus und Populismus der falsche Weg. Das haben wir aus der Geschichte gelernt und deshalb treten wir mit Vehemenz für diese Einigung Europas ein. - Das ist unsere Zukunft."

In Anerkennung und Würdigung seiner Verdienste für die Heimatvertriebenen wurde dem Hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier vom Bundesvorsitzenden der schlesischen Landsmannschaft, Stefan Rauhut, der Orden "Schlesier Schild", die höchste Auszeichnung der Landsmannschaft, verliehen. Es sei eine Ehrung, mit der letztlich viele engagierte Menschen in Hessen stellvertretend ausgezeichnet würden, die sich für die Belange der Landsmannschaften einsetzen, - so Bouffier in seinen Dankesworten.

Als Festredner konnte BdV-Vorsitzender Ortmann Bernhard Josef Gaida begrüßen. Gaida ist Vorsitzender des Verbandes der deutschen sozial-kulturellen Gesellschaften in Polen und der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Minderheiten in der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEN). Für sein Wirken wurde er In Polen mit dem Silbernen Verdienstkreuz der Republik Polen und in der Bundesrepublik Deutschland mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Gaida berichtete über die Situation und das Wirken der deutschen Minderheit in Polen und dem Problem einer seit kurzem immer weitergehende beruflichen Ausgrenzung der Bürgerinnen und Bürger, die außer der polnischen noch eine andere Staatsangehörigkeit besäßen. So fiele es den meisten Polen auch schwer, die Geschichte der Deutschen auf dem gegenwärtigen polnischen Boden objektiv darzustellen, vor allem in der Nachkriegszeit. "Die meisten Deutschen, die in Polen leben, sind ehemalige Bürger Deutschlands oder deren Nachkommen, die dank des Grundgesetzes der Bundesrepublik ihre deutsche Staatsangehörigkeit behalten haben. Das ist für uns ein besonders wichtiges Merkmal der deutschen Identität.“ Für diese Menschen sei aber eine klare Unterstützung durch den deutschen Staat notwendig, betonte er. Diese Hilfe solle vor allem im Bereich der Bildung, des Schulwesens und der Sprachförderung zum Einsatz kommen.

"Mein Land ist voll von Ruinen des deutschen Kulturerbes und verfügt über Denkmäler wie z.B. das Schloss in Lubowitz wo Josef Freiherr von Eichendorff geboren war. Aus diesem Grund versuchen wir unser deutsches Kulturerbe zu einem Erbe des Landes zu schaffen durch allerlei Unterstützung, die zu einer multikulturellen, modernen und demokratischen Gesellschaft führt. Heute als deutsche Volksgruppe, können wir uns ruhig als diejenigen bezeichnen, die die deutsche Kultur in den europäischen Ausland verbreiten. Wir gehören in Polen zu den europäischen Minderheiten, die gezwungen sind, etwas wiederaufzubauen und nicht nur zu pflegen. Unsere Förderer verstehen das nicht immer." Es sei bestimmt nicht schlecht, so Gaida abschließend, dass am Tag der Heimat nicht nur Geschichten über die Vertreibung erläutert würden, sondern auch über die Gegenwart der Deutschen dort drüben berichtet wird, über die in Deutschland oft nur Wenige etwas wissen.

Der Festakt wurde von der Blaskapelle Weindorf Johannisberg, der ChorArt Rheingau und dem Dialog Quartett mitgegstaltet.

© bdv-press/hessen/18.09.18
    Fotos: Hessische Staatskanzlei und BdV-Landesverband Hessen