Mit der Vorstellung des Buches „Flucht und Vertreibung in den Alsfelder Raum“ wurde im Sitzungssaal des Alsfelder Rathauses ein besonderes Projekt präsentiert. Herausgegeben von Michael Rudolf, Geschichtslehrer und ehrenamtlicher Stadtarchivar, sowie der Historikerin Dr. Monika Hölscher, dokumentiert das Werk die Schicksale jener Heimatvertriebenen, die nach dem Zweiten Weltkrieg im mittelhessischen Alsfeld und Umgebung eine neue Heimat fanden. Die große Besonderheit: Schülerinnen und Schüler des Albert-Schweitzer-Gymnasiums führten die Gespräche mit Zeitzeugen und hielten deren Erinnerungen fest. Somit ist die neue Lektüre nicht nur ein wichtiges Werk zur Regionalgeschichte, sondern auch ein Projekt, das aktiv den transgenerationalen Austausch sowie die Erinnerungskultur der sogenannten „Generation Alpha“ und „Generation Z“ fördert.
„Das ist kein klassisches Geschichtsbuch mit Quellenangaben. Es ist ein lebendiges Buch der Erinnerungen, das berührt und zum Nachdenken anregt“, äußerte sich Dieter Welker vom Förderverein des Gymnasiums bei der Präsentation. Alsfelds Bürgermeister Stephan Paule sprach von einem „historischen Tag mit hoher gesellschaftlicher Relevanz“ und erinnerte daran, dass die Integration der Heimatvertriebenen seit den Nachkriegsjahren einen prägenden Teil der hessischen Geschichte darstellt.
Bei der Präsentation hatten die Anwesenden die Möglichkeit, die dokumentierten Zeitzeugenberichte aus erster Hand zu hören. So war auch Siegbert Ortmann, Landesvorsitzender des Bundes der Vertriebenen (BdV) Landesverband Hessen, unter den Mitwirkenden. Seine Priorität sei es, Flucht und Vertreibung im Schulalltag stärker zu verankern, um rechtsextremem Gedankengut entgegenzuwirken und die Ursachen des Elends nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. In seinem Beitrag zum neu erschienenen Geschichtsbuch betont Ortmann die Lehren, die er selbst für unsere gemeinsame Zukunft und Gegenwart zieht. Der Einsatz für Erinnerung und Versöhnung – im Kontext der europäischen Gemeinschaft, aber auch innerhalb der deutschen Gesellschaft – seien zentrale Punkte, um ein positives Miteinander angesichts moderner Herausforderungen zu sichern. Ortmann selbst wollte nie in einer Opferrolle verharren, sondern die Vergangenheit als Grundlage nutzen, um die Zukunft positiv zu gestalten und gegen Rechtsextremismus zu kämpfen. Denn ähnlich wie die Flüchtlinge und Schutzsuchenden heutzutage wurde auch seine Familie einst als fremd wahrgenommen und hatte darunter zu leiden.
Der BdV Hessen konnte bereits mit Pionierprojekten wie dem Digitalportal „Flucht und Vertreibung im europäischen Kontext“ interaktive Lehr- und Lernmaterialien bereitstellen, um die Themen an hessischen Schulen zu verankern. Das digitale Gesamtwerk soll zielgruppenorientiert den Digital Natives der „Generation Alpha“ die Implikationen von Nationalismus, Flucht, Vertreibung, Integration und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vermitteln. 2025 bietet der Landesverband Hessen diesbezüglich auch erstmalig Fortbildungen über die Hessische Lehrkräfteakademie an. Darüber hinaus wurde mit dem Schwerpunktbereich an der Justus-Liebig-Universität in Gießen ein Leuchtturmprojekt geschaffen, das Forschung und Lehre zur Flucht- und Vertreibungsgeschichte in Deutschland auf einmalige Weise fördert.



