Die Hoffnung besteht, dass die Wunden der Vergangenheit zumindest teilweise verheilen

Tschechischer Minister a.D. zu Gast beim zentralen Tag der Heimat und 6. Hessischen Gedenktag für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation im Schloss zu Wiesbaden-Biebrich

"Menschenrechte und Verständigung - Für Frieden in Europa", diese Worte prägten die landesweite Veranstaltung zum diesjährigen zentralen Tag der Heimat und 6. Hessischen Gedenktag für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation. Der Festakt hierzu wurde gemeinsam von der Hessischen Landesregierung und dem hessischen Landesverband des Bundes der Vertriebenen (BdV) am Sonntag, den 15.09.19, begangen.

Die Festrede zum Tag der Heimat, der in diesem Jahr unter dem Leitwort "Menschenrechte und Verständigung - Für Frieden in Europa" stand, hatte Daniel Herman, Tschechischer Minister für Kultur a.D., übernommen.

"Wie Sie wissen, komme ich aus Tschechien, dem Land, wo viele von Ihnen ihr zuhause hatten: Deutsche, Tschechen, Juden, Polen, Roma und Angehörige anderer Völker haben Seite an Seite die Identität Böhmens, Mährens, Schlesiens und gleichzeitig die Identität Europas gebildet. Die unheilvollen Ereignisse des 20. Jahrhunderts haben diese Bindungen verletzt, zerrissen und einige definitiv zerstört.

Die Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen wurden durch die Verbrechen der Nationalsozialisten, die das deutsche Volk über das tschechische Volk stellten, ruiniert. Damit nicht genug. Denn gegen Kriegsende nahm die Begierde nach Rache und Vergeltung für diese Kriegsverbrechen die grauenvolle Gestalt von Verbrechen eines Teils der tschechischen Bevölkerung gegen die deutschsprechenden Mitbürger an und dies auch noch mehrere Monate nach der Unterzeichnung internationaler Abkommen, die das Kriegsleid beenden sollten.

Wie ist es überhaupt möglich, dass soviel Leid zugefügt werden konnte? Nach welchen Regeln und Prinzipien war es möglich, dass die kulturelle und gesellschaftliche Szene derartige Taten, für die wir uns heute noch schämen, tolerierte? Und können wir uns dessen sicher sein, dass diese Kräfte heute nicht mehr aktiv sind?

Ich bin davon überzeugt, dass solange wir versuchen zu verstehen, solange wir Scham empfinden können und solange es jemanden gibt, an den wir Worte mit der Bitte um Vergebung richten können, die Hoffnung besteht, dass die Wunden der Vergangenheit zumindest teilweise verheilen.

Wir leben in einem gemeinsamen europäischen Haus, das wir auf den Prinzipien der Verantwortung und Freiheit des Einzelnen zu erbauen versuchen, aber auch von der Überzeugung, dass lediglich die Versöhnung einen festen Grundstein für unsere gemeinsame Zusammenarbeit legen kann."

Zuvor hatte BdV-Landesvorsitzender Siegbert Ortmann zu dieser Veranstaltung zahlreiche Ehrengäste im weiten Rund der Rotunde des Biebricher Schlosses begrüßen können; darunter den hessischen Minister des Innern und für Sport, Peter Beuth, die Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, Margarete Ziegler-Raschdorf, zahlreiche Landtagsabgeordnete des Hessischen Landtages, ehemalige Landtagsabgeordnete, Stadtrat Markus Gaßner, der die Grüße von Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende überbrachte, Vertreter hessischer Sozialverbände, Milan Horacek, Präsidiumsmitglied des BdV-Bundesverbandes, Vertreter von Landsmannschaften und Funktionsträger aus BdV-Kreisverbänden in Hessen und Nachbarverbänden.

Dabei ging Ortmann auch auf das Thema „Erinnerungskultur der Heimatvertriebenen und Spätaussiedler“ ein und dankte der Hessischen Landesregierung für die vorbildliche Dialogbereitschaft und Unterstützung des BdV-Landesverbandes Hessen, da Erinnerungskultur kein Verfallsdatum kenne. "Der dankenswerterweise seit 2014 staatlich angeordnete hessische Gedenktag ist ein Tag der Erinnerung und Mahnung zur Wahrung der Menschenrechte, für Frieden und Freiheit für alle Zeiten und relativiert nicht das Gedenken an andere Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und des zweiten Weltkrieges. Rund ein Viertel aller in Hessen lebenden Bürger haben Flucht oder Vertreibung selbst erlebt oder sind durch das Schicksal der nächsten Angehörigen davon betroffen. Sie verloren ihr Eigentum, ihre Heimat und viele auch ihre Angehörigen. Hessen will also die Erinnerung an diese Ereignisse für alle künftigen Generationen lebendig halten und zu Verantwortung und Versöhnung mahnen. Darüber hinaus ist dieser Gedenktag auch ein Zeichen der würdigenden Anerkennung für die gelungene Integration und die Aufbauleistung der Heimatvertriebenen, Aussiedler und Spätaussiedler in diesem Land."

In seiner Ansprache zum "Hessischen Gedenktag" überbrachte Staatsminister Beuth die Grüße des Hessischern Ministerpräsidenten Volker Bouffier. Dabei lobte er die erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem hessischen Vertriebenenverband und sagte für die Bewahrung und Weitergabe des Kulturerbes der deutschen Heimatvertriebenen und Spätaussiedler die weitere Unterstützung der hessischen Landesregierung zu. Anschließend verlieh Minister Beuth den Hessischen Landespreis "Flucht, Vertreibung, Eingliederung" an den Heimat- und Geschichtsverein Igstadt e.V. Wiesbaden, an Alexander Bräutigam und Robin Midekke, Borken (Hessen) sowie an die Königstädter Hofkonzerte e.V. Rüsselsheim.

Aus Anlass des 60. Jahrestages der Verkündung der „Charta der deutschen Heimatvertriebenen" am 5. August 1950 beschloss die Hessische Landesregierung erstmals im Jahr 2011 den Hessischen Preis "Flucht, Vertreibung, Eingliederung" auszuschreiben. Durch den Preis sollen besonders auch junge Menschen angesprochen und ermuntert werden, sich mit der Geschichte Deutschlands und der Siedlungsgebiete der Deutschen im östlichen Europa zu beschäftigen. In diesem Jahr stand die Preisverleihung, die alle zwei Jahre durchgeführt wird, unter dem Motto "Zukunft braucht Erinnerung."

In ihrer Laudatio über die Preisträger erklärte die Landesbeauftragte Margarete Ziegler-Raschdorf : "Der Preis soll ins Gedächtnis rufen, dass fast ein Drittel aller in Hessen lebenden Bürgerinnen und Bürger entweder Flucht und Vertreibung selbst erlebt hat, durch das Schicksal der nächsten Angehörigen davon betroffen ist oder als Aussiedlerin oder Aussiedler hier lebt."

Innenminister Beuth betonte mit Blick auf die Dokumentationen und Theaterstücke der Preisträger: "Sie alle leisten mit ihren Arbeiten einen Beitrag dazu, das Kulturgut der Vertreibungsgebiete und die Erinnerung an die mit der Vertreibung in Verbindung stehenden Ereignisse zu erhalten."

Die Festveranstaltung wurde von der Blaskapelle Weindorf Johannisberg, dem Gesangverein Chorart Rheingau und dem Dialog Quartett mitgestaltet.

© bdv-press hessen 09/2019