Anlässlich seines 70. Gründungsjubiläums hatte der hessische Landesverband des Bundes der Vertriebenen (BdV) am 21. Juni 2023 unter der Schirmherrschaft der Präsidentin des Hessischen Landtages Astrid Wallmann zu einem Festakt mit anschließendem Empfang im Hessischen Landtag eingeladen. Im Rahmen der Festveranstaltung mit zahlreichen Ehrengästen aus der Landes- und Kommunalpolitik, den Vertriebenenverbänden, Landsmannschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen wurde auch das neue Digitalportal „Flucht und Vertreibung im europäischen Kontext“ offiziell vorgestellt und freigeschaltet.
Feierstunde mit zahlreichen Ehrengästen
In ihrer Begrüßungsrede würdigte Landtagspräsidentin Astrid Wallmann die Verdienste des BdV in Hessen und dankte dem BdV-Landesvorsitzenden Siegbert Ortmann stellvertretend für die unermüdliche Arbeit des Vertriebenenverbandes. „Kulturelle Vielfalt ist der Reichtum einer Gesellschaft. Der Bund der Vertriebenen - Landesverband Hessen e.V. trägt mit seiner Arbeit maßgeblich dazu bei, dass die Geschichte, Kultur und Traditionen der einstigen Heimaten der Vertriebenen gepflegt werden und nicht in Vergessenheit geraten. Und zugleich engagiert er sich in der Gegenwart für den Kulturaustausch und die Völkerverständigung im geeinten Europa. Dafür möchte ich dem BdV Hessen danken und seine Arbeit der letzten siebzig Jahre würdigen“, so die Landtagspräsidentin. „Der BdV Hessen ist eine Erfolgsgeschichte“, lautete ihr Fazit.
Neben dem Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Wiesbaden Gert-Uwe Mende, dem Hessischen Minister des Innern und für Sport Peter Beuth, der Hessischen Landesbeauftragten für Heimatvertriebene und Spätaussiedler Margarete Ziegler-Raschdorf, dem Bundestagsabgeordneten und BdV-Vizepräsidenten Stephan Mayer konnte die Landtagspräsidentin zahlreiche weitere Ehrengäste begrüßen, darunter den Vorsitzenden des Unterausschusses im Hessischen Landtag für Heimatvertriebene, Aussiedler, Flüchtlinge und Wiedergutmachung (UHW) Andreas Hofmeister sowie die Landtagsabgeordneten Marcus Bocklet, Sylvia Brünnel, Lisa Deißler, Robert Lambrou, Max Schad, Katrin Schleenbecker, Dimitri Schulz und Turgut Yüksel.
Ein besonderer Willkommensgruß galt dem ehemaligen Hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier, für den die tatkräftige Unterstützung der Heimatvertriebenen während seiner Amtszeit stets ein Herzensanliegen war, wie er selbst bei zahlreichen Gelegenheiten immer wieder betonte.
Glückwünsche, Anerkennung und Würdigung
Für die Hessische Landesregierung überbrachte Innenminister Peter Beuth die besten Wünsche zum 70-jährigen Jubiläum. „Seit sieben Jahrzehnten vertritt der BdV in Hessen mit starker Stimme die Interessen und Anliegen von Heimatvertriebenen und Spätaussiedlern“, so Beuth. Er sei dem Verband dankbar, dass er sich darum kümmere, die Erinnerungen an das Schicksal der Heimatvertriebenen wachzuhalten und wies zugleich darauf hin, dass Flucht und Vertreibung fast 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erneut so aktuell seien wie lange nicht mehr. Beuth betonte, dass die Landesregierung die Vertriebenenverbände mit erheblichen finanziellen Mitteln für die Kulturförderung im Bereich des §96 Bundesvertriebenengesetz (BVFG) unterstütze und machte deutlich, dass das Land Hessen auch künftig ein verlässlicher Partner für die Vertriebenenverbände sei.
Weitere Grußworte sprachen der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Wiesbaden Gert-Uwe Mende und BdV-Vizepräsident Stephan Mayer MdB, der auch die herzlichen Grüße von BdV-Präsident Dr. Bernd Fabritius überbrachte. „Der BdV in Hessen ist nicht von gestern“, so Mayer, denn er blicke nicht nur zurück, sondern immer auch nach vorn. Der hessische BdV-Landesverband stelle sich erfolgreich den Herausforderungen im digitalen Zeitalter durch eine moderne Öffentlichkeitsarbeit und Präsenz im Internet und den sozialen Medien sowie durch zahlreiche Digitalisierungsprojekte für eine zukunftsweisende Kulturarbeit des Verbandes. Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende betonte in seinem Grußwort, dass das Erinnern an Flucht und Vertreibung zugleich ein stetiger Appell an Humanität und Menschlichkeit sei. Er sei stolz darauf, dass der BdV Hessen seinen Sitz in der Landeshauptstadt Wiesbaden habe.
Rückblick auf 70 Jahre
In seiner Festansprache erinnerte der BdV-Landesvorsitzende Siegbert Ortmann an die Anfänge des Verbandes. Mit der Verkündung der „Marburger Beschlüsse“ am 10. Juni 1953 in der Aula der Philipps-Universität zu Marburg sei nach jahrelangen Konsultationen unter den konkurrierenden und zersplitterten Vertriebenenverbänden in den ersten Nachkriegsjahren eine einheitliche Vertriebenenorganisation in Hessen entstanden und letztendlich ein schlagkräftiges und durchorganisiertes Interessenorgan geschaffen worden, das auch politisch Gehör fand. In diesem Zusammenhang verwies der BdV-Landesvorsitzende auch auf die umfangreiche Festschrift, die anlässlich des 70. Gründungsjubiläums veröffentlicht und im Anschluss an den Festakt an alle Gäste verteilt wurde.
Die Ziele und Aufgaben des Verbandes beschrieb Ortmann mit dem Dreiklang aus „Bewahren – Erinnern – Versöhnen“, der einen geeigneten Orientierungsrahmen für zukünftiges Verbandshandeln aufzeige. Unter dem Begriff „Bewahren“ verstehe er eine umfassende Sicherung des mannigfachen Kulturgutes der Vertriebenen und Spätaussiedler in Form von traditionellem Brauchtum und den landesweiten musealen Einrichtungen, aber vor allem auch die Pflege und Weiterentwicklung des deutschen Kulturgutes und der deutschen Sprache im östlichen Europa. „Erinnern“, so Ortmann, stehe für den Erhalt einer Erinnerungskultur mit dem klaren Bekenntnis zur uneingeschränkten geschichtlichen Wahrheit über die europäischen Vertreibungstragödien nach dem Zweiten Weltkrieg und der damit im Kontext stehenden eklatanten Menschenrechtsverletzungen auf allen Seiten. Mit der Charta der deutschen Heimatvertriebenen von 1950 sei bereits ein Anfang zur Versöhnung mit den östlichen Nachbarn beschritten worden. Dennoch bleibe es auch weiterhin eine große Aufgabe des BdV, zur Versöhnung beizutragen, die viel Zeit brauche, aber unabdingbare Voraussetzung für ein friedliches Miteinander der Völker in Europa sei.
Ausdrücklich dankte der BdV-Landesvorsitzende der Hessischen Landesregierung für die erhebliche Aufstockung der institutionellen Förderung des Bundes der Vertriebenen, durch die sich der Weg in eine erfolgreiche und nachhaltige Zukunft des BdV in Hessen als eine weiterhin lebendige Vertriebenenorganisation mit klarem Alleinstellungsmerkmal sehr spannend und erfolgreich gestalten lasse. Abschließend dankte er allen Gästen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landesgeschäftsstelle sowie dem Blechbläserquartett der Junge Musik Hessen gGmbH, das die Feierstunde im Hessischen Landtag musikalisch umrahmte.
Start für das Digitalportal „Flucht und Vertreibung im europäischen Kontext“
Die mit Spannung erwartete Präsentation des neuen Digitalportals „Flucht und Vertreibung im europäischen Kontext“ wurde von der BdV-Landeskulturbeauftragen Rose-Lore Scholz anmoderiert, die gemeinsam mit der Landesbeauftragten für Heimatvertriebene und Spätaussiedler Magarete Ziegler-Raschdorf das Portal freischaltete.
Das Portal, das allen Interessierten im Internet unter https://fluchtundvertreibung.dilewe.de ab sofort kostenlos zur Verfügung steht, ist ein Projekt des BdV-Landesverbandes Hessen in Kooperation mit der Digitale Lernwelten GmbH unter Leitung von Geschäftsführer PD Dr. Markus Ventzke, der eine Einführung und erste Übersicht zu den Inhalten und Möglichkeiten des vom Hessischen Ministerium des Innern und für Sport geförderten Portals gab.
Das Projekt bettet das Flucht- und Vertreibungsgeschehen am Ende des Zweiten Weltkrieges und den darauffolgenden Jahren in einen größeren historischen Kontext ein und berichtet von den Ursprüngen nationalistischer Ideologien und den Vorstellungen von ethnischer Reinheit im 19. Jahrhundert, von den frühen Vertreibungen ganzer Volksgruppen, von der rassistischen Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten sowie vom Schicksal der deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen aus dem östlichen Europa und von ihrer besonderen Rolle, die ihre Erfahrungen und Lebensleistungen auch und vor allem für das heutige Hessen haben. Ebenso werden Ereignisse der jüngeren Vergangenheit und aktuelle Fragen behandelt, wie sogenannte ethnische Säuberungen wie im früheren Jugoslawien, in Ruanda oder in der Ukraine verhindert werden können.
Das Digitalportal „Flucht und Vertreibung im europäischen Kontext“, das über zwei Jahre durch ein hochspezialisiertes Team aus Fachredakteuren, Grafikern, Programmierern und Medienproduzenten der Digitale Lernwelten GmbH erstellt wurde, nutzt einen modernen digitaldidaktischen Vermittlungsansatz, kombiniert klassische Fotos, Textquellen und Zeitzeugeninterviews mit Videos, Audios, multimedialen Webanwendungen und Gamification-Elementen, um die Auseinandersetzung mit diesem Thema für heutige Zielgruppen ansprechend und interessant zu gestalten. Es besteht aus umgerechnet fast 400 Seiten Text, mehr als 1.000 Bildern, etwa 800 Videos und fast 150 interaktiven Elementen.
Geschäftsführer Markus Ventzke, der allen Beteiligten für die vertrauensvolle und professionelle Zusammenarbeit dankte, zeigte sich in seiner Präsentation überzeugt, dass sich das Digitalportal zu einem multimedialen Standardwerk zum Thema Flucht und Vertreibung entwickeln werde, „das jeder nutzen kann, das dem Geschichtsunterricht in den höheren Klassen der Sekundarstufe I und II zur Verfügung steht und das in den Bildungs- und Informationsformaten des BdV, der Vereine und Landsmannschaften, von den Trägern der historisch-politischen Bildung sowie nicht zuletzt auch an den Universitäten genutzt werden kann.“
Fotos: bdv-hessen/onemorepicture.de