Bewahren - Erinnern - Versöhnen

Hessische Delegierte treffen sich zum 70. Landesverbandstag in Wiesbaden

Der Landesverband des Bundes der Vertriebenen (BdV) Hessen e.V. hatte zu seinem 70. Landesverbandstages in den großen Wappensaal des Hauses der Heimat in Wiesbaden eingeladen. Zahlreiche Delegierte aus den Kreisverbänden und den landsmannschaftlichen Vereinigungen sowie Ehrengäste waren der Einladung gefolgt. Als Ehrengäste konnte BdV-Landesvorsitzender Siegbert Ortmann zu Beginn der Veranstaltung Dr. Wolfgang Dippel, Staatssekretär im Hessischen Ministerium für Soziales und Integration, Margarete Ziegler-Raschdorf, hessische Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, Stadträtin Helga Skolik in Vertretung des Wiesbadener Oberbürgermeisters Sven Gerich und Editha Westmann, MdL, Landesvorsitzende des BdV Landesverbandes Niedersachsen e.V. und Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler der niedersächsischen Landesregierung begrüßen.

Staatssekretär Dr. Dippel überbrachte der Delegiertenversammlung die Grüße der hessischen Landesregierung. Dabei ging er auf die positive Zusammenarbeit von Vertriebenenverband und hessischer Landesregierung ein. Hessen nehme nach seinen Worten den Auftrag nach § 96 des BVFG sehr ernst. Dies zeige sich vor allem durch die verschiedenen Gremien und Institutionen wie die Vertriebenenbeauftragte oder den Unterausschuss für Heimatvertriebene, Aussiedler, Flüchtlinge und Wiedergutmachung im Hessischen Landtag, den Landesvertriebenenbeirat, sowie die gemeinsam durchgeführten Veranstaltungen und Anlässe wie den Hessischen Gedenktag für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation, den Hessischen Landespreis „Flucht, Vertreibung, Eingliederung“ und nicht zuletzt das alljährliche Neujahrsgespräch mit Ministerpräsident Volker Bouffier.

Die Kulturarbeit bleibe nach seinen Worten weiterhin Kernaufgabe der Vertriebenenorganisationen und ein wichtiges Anliegen der Bundesregierung. Zu den Eckpunkten der Kulturkonzeption gehöre die Stärkung des europäischen Geistes sowie der Erinnerungstransfer von der Erlebnisgeneration auf die breite Öffentlichkeit. Neue Partner und Zielgruppen müssten gewonnen und die Digitalisierung des Kulturgutes umgesetzt werden. Eine der wesentlichen Aufgaben blieben jedoch die Versöhnung und die Kontaktpflege zu den östlichen Nachbarn im europäischen Kontext.

Die niedersächsische BdV-Landesvorsitzende Westmann versuchte in ihrer Festrede den Spagat von den Erinnerungen einer Erlebnisgeneration an die alte Heimat zu den künftigen Aufgabenstellungen eines Vertriebenverbandes zu skizzieren. "Im letzten Jahr war ich mit meinem Verband in Schlesien. Wir haben auch einen Abstecher in das Dorf meines Vaters gemacht. Ich habe mit offenen Augen und weitem Herzen das Dorf und die Umgebung in mir aufgenommen. Und ich wusste jetzt, warum mein Vater sein Leben lang an diesem Stückchen Heimat gehangen hat. - Es war dort einfach wunderschön. Wenn ich bis dahin glaubte zu wissen, was Heimat bedeutet, wusste ich es von diesem Tag an ganz gewiss. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl."

Doch es galt in ihren Ausführungen nicht dort stehen zu bleiben, sondern den Blick in die Zukunft zu richten. "Die Aufgabenstellung des BdV ist in die Jahre gekommen und wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass sich unsere Ziele und Aufgaben den Veränderungen in unserer Gesellschaft anpassen. Eine enge und auf Freundschaft basierende Zusammenarbeit der Landesverbände kann dabei eine wesentliche Rolle spielen. Daher bin ich Ihrem Landesvorsitzenden Siegbert Ortmann außerordentlich dankbar, dass er meiner Einladung nach Friedland gefolgt ist, wo wir gemeinsam mit Sachsen, Bremen und Baden-Württemberg den Grundstein für eine länderübergreifende Zusammenarbeit gelegt haben. Gemeinsam Projekte entwickeln, von einander lernen und einander unterstützen, dass sollte uns künftig noch stärker verbinden. Und wenn ich die Aktivitäten Ihres Landesverbandes verfolge, können wir in Niedersachsen Einiges von Ihnen lernen.

So lange es Menschen gibt, die den Verlust ihrer Heimat oder der Heimat ihrer Vorfahren im Herzen tragen, so lange haben wir einen Auftrag. Lassen Sie uns die Weichen stellen, lassen Sie uns Visionen entwickeln und lassen Sie uns mutig neue Wege gehen, damit Heimatvertriebene und Spätaussiedler in unserer Gesellschaft auch weiterhin eine Stimme habe. Lassen Sie uns die Geschichten unserer Vorfahren nicht vergessen.

Ich glaube fest daran, dass sich gerade viele Jugendliche für das interessieren, was wir weiterzugeben haben. Es ist spannend und bereichernd, seine Wurzeln zu suchen. Es ist ein schönes und erhabenes Gefühl sie zu finden. Ich freue mich auf eine harmonische Zusammenarbeit zwischen unseren Landesverbänden."

Der mit überwältigender Mehrheit für weitere zwei Jahre wiedergewählte Landesvorsitzende des hessischen BdV-Verbandes, Siegbert Ortmann, versuchte anlässlich des 70. Landesverbandstages in einer programmatischen Rede die bisherigen Kernaufgaben des Vertriebenenverbandes zu präzisieren und darüber hinaus ein einheitliches Verständnis über das verbandspolitische Wirken vor allem in der Zukunft zu erzeugen. "Bewahren, erinnern und versöhnen, - diese Begriffe umschreiben für mich im Dreiklang präzise die Kernaufgaben unserer bisherigen Arbeit im Bund der Vertriebenen, aber, und das ist das Neue, darüber hinaus gleichzeitig symptomatisch und zeitlos die Zukunftsorientierung unseres Verbandes. Somit könnten diese drei Begriffe durchaus geeignet sein, ein einheitliches Verständnis bei unseren Mitgliedern über unser verbandspolitisches Wirken jetzt und in Zukunft zu erzeugen. Denn es ist doch allgemein bekannt, dass eine Organisation langfristig nur bestehen und erfolgreich sein kann, wenn sie weiß woher sie kommt und wohin sie will und einen Plan hat, wie sie dieses Ziel zu erreichen gedenkt.

Der erste Begriff „bewahren“ steht für eine umfassende Sicherung des mannigfachen Kulturgutes der Vertriebenen in Form von traditionellem Brauchtum und musealen Einrichtungen hierzulande, aber vor allem auch für die Pflege und Weiterentwicklung des deutschen Kulturgutes und der deutschen Sprache im östlichen Europa, also den ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten. Und erfreulicherweise ist dazu anzumerken, dass die Auseinandersetzung mit diesem kulturellen deutschen Erbe im In- und Ausland heute auch von einem Großteil der Bevölkerung als Bereicherung empfunden wird. So hat sich in der Allgemeinheit längst die Überzeugung durchgesetzt, dass sich ein zukünftiges Europa immer seiner reichen Kulturgeschichte bewusst sein muss und dass das Verbindende nicht jenseits, sondern nur über die jeweiligen geschichtlichen Erfahrungen und Traditionen weiter ausgebaut werden kann.

Ich komme zum zweiten Begriff des Dreiklangs "Erinnern". Die Erinnerung steht für den Erhalt einer Erinnerungskultur mit dem klaren Bekenntnis zur uneingeschränkten geschichtlichen Wahrheit über die europäischen Vertreibungstragödien nach dem Zweiten Weltkrieg und den damit im Kontext stehenden eklatanten Menschenrechtsverletzungen auf allen Seiten. Wie wir wissen, verlief die Geschichte zwischen Deutschen und den anderen Nationalitäten in den ehemaligen deutschen Vertreibungsgebieten in den zurückliegenden Jahrhunderten zu einem Großteil äußerst kompliziert, voller Widersprüche und erreichte ihren dramatischen Höhepunkt im Zweiten Weltkrieg. Erinnern muss deshalb heißen, nicht nur der eigenen inneren Stimme zu folgen, sondern dem anderen zuhören zu können, der dadurch zum Objekt der eigenen Erinnerung wird.

Und zuletzt wende ich mich noch dem Begriff „Versöhnen“ zu. Nach meinem Dafürhalten wird der Begriff „Versöhnung“ unbedacht leider viel zu häufig verwendet. Für mich stellt er aber überwiegend noch eine Vision, also einen Zukunftstraum, unter den betroffenen Nationalitäten dar. Dabei verkenne ich nicht, dass es in den zurückliegenden Jahren bereits unzählige zwischenmenschliche Versöhnungsakte in den Zivilgesellschaften, weniger in der Politik, gegeben hat, die sogar zunehmend auch Früchte getragen haben. Aber vieles ist eben hin auf dem Weg zur Versöhnung noch zu tun.

Halten wir abschließend fest: Zukünftiges erfolgreiches Wirken des Bundes der Vertriebenen braucht Initiative, Durchhaltevermögen und vor allem eine von Herzen kommende positive Einstellung über einen gesicherten verbandsmäßigen Fortbestand. Für mich steht hierzu eindeutig fest, dass bei entsprechender Bereitschaft, sich der Weg in eine erfolgreiche und nachhaltige Zukunft des BdV in Hessen als weiterhin lebendige Vertriebenenorganisation mit klarem Alleinstellungsmerkmal doch sehr spannend und vielversprechend gestalten lässt. Es ist also Mut, und vor allem aber auch Freude dafür angesagt, bei unserer Vertriebenenorganisation etwas neu zu gestalten und zu bewegen. Vielleicht hilft uns dabei der heute von mir formulierte zeitlose Dreiklang über unsere Verbandsarbeit: „bewahren, erinnern, versöhnen."

© bdv-hessen-press/27.03.18