„Tag der Heimat“ des Bundes der Vertriebenen: 80 Jahre Erinnern – Bewahren – Gestalten
Königstein. Am „Tag der Heimat“ haben der Bund der Vertriebenen (BdV) und die Landsmannschaften im Hochtaunuskreis an die Opfer von Krieg und Vertreibung erinnert und zu Frieden und Versöhnung aufgerufen. Der Vorsitzende des Kreisverbandes, Frank Dittrich, begrüßte im Katholischen Gemeindezentrum Königstein rund 50 Gäste und Ehrengäste und hob das Leitwort der diesjährigen Feierstunde „80 Jahre: Erinnern – Bewahren – Gestalten“ hervor. Bei diesem Dreiklang gehe es darum, so Dittrich, an das Leid der Vertriebenen zu erinnern, das kulturelle Erbe der ehemaligen deutschen Provinzen wachzuhalten und zugleich an der Zukunft in einem friedlichen Europa mitzuwirken.
Als Gastredner stellte in der Feierstunde Dr. Jan Lipinsky die Arbeit des Herder-Instituts für historische Ostmitteleuropaforschung vor, bei dem er die Zeitungssammlung, einen Teil des ehemaligen Pressearchivs, leitet. Das vor 75 Jahren gegründete Institut mit Sitz in Marburg hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Geschichte des historischen deutschen Ostens wachzuhalten, aber auch über aktuelle Entwicklungen in den heutigen Staaten Polen, Tschechien, Slowakei, Estland, Lettland und Litauen zu informieren.
Für diejenigen, die sich für diese Region, Ostmitteleuropa, ihre Geschichte und Perspektiven interessieren, gibt es dort nach seinen Worten eine umfangreiche Sammlung an Zeitungen, Büchern, Fotos, Videos und Kartenmaterial – darunter 600.000 historische Bände, fünf Millionen Presseausschnitte, 800.000 Fotos/Postkarten und 62.000 Kartenblätter, etwa 1.200 alte Karten und etwas mehr als 6.300 Luftbilder aus den Jahren zwischen 1942 und 1945. „Hier können sich Menschen informieren, die wissen wollen, wie der Vater, die Mutter oder die Großeltern einst gelebt haben“, betonte Lipinsky.
Denn tatsächlich sei es so, berichtete Lipinsky, dass viele Nachkommen der Vertriebenen früher oft wenig Zeit hatten, ihren Eltern oder Großeltern zuzuhören. Der Beruf oder die Familiengründung standen im Vordergrund. Jetzt seien viele Rentner oder pensioniert und hätten mehr Zeit für die Geschichte der Familie – aber es zeige sich der „fatale biologische Zusammenhang“, so Lipinsky, dass die Menschen aus der „Erlebnisgeneration“ der Vertreibung häufig verstorben oder inzwischen so dement seien, dass sie sich nicht mehr erinnern könnten. Das Herder-Institut sei durch seine Bibliotheken dann für viele der Nachkommen eine Quelle, um mehr über die Herkunftsregion ihrer Familie zu erfahren. Er rief die Anwesenden auch dazu auf, vielleicht ihren eigenen Nachlass dem Institut zur Verfügung zu stellen, damit er nicht in Vergessenheit gerate.
Über die historische Dimension von Flucht und Vertreibung berichtete Frank Dittrich in seiner Rede. Er erinnerte daran, dass in und nach dem Zweiten Weltkrieg vor 80 Jahren rund 15 Millionen Deutsche gezwungen wurden, ihre Heimatgebiete in Ost- und Südosteuropa zu verlassen. Die Verbrechen der Nationalsozialisten hätten den Boden bereitet für ethnische Säuberungen, für Flucht und Vertreibung und für die „größte politisch veranlasste ‚Menschenverschiebung‘ der Geschichte“, so Dittrich. Dabei seien die deutschen Verbrechen keine Rechtfertigung für die Vertreibungsverbrechen der anderen Staaten. „Vertreibungen sind und bleiben immer Unrecht und können nicht gegen andere Verbrechen aufgerechnet werden“, betonte Dittrich, „das galt damals und gilt mit Blick auf aktuelle Nachrichten auch heute!“
Er hob weiter hervor, dass das kulturelle Erbe der Vertriebenen ein Schatz sei, den es zu bewahren gelte. Dazu gehörten die Siedlungsgeschichte, ebenso wie Dialekte, Lieder, Brauchtum und Tradition. Dittrich betonte weiter, dass weltweit heute wieder rund 100 Millionen Menschen durch Krieg, Gewalt und Armut auf der Flucht seien: „Gerade wegen unseres Schicksals blicken wir mit Empathie auf das Schicksal von Flüchtlingen weltweit und ihrer Sehnsucht nach Heimat“, sagte er.
Die Königsteiner Bürgermeisterin Beatrice Schenk-Motzko sagte in ihrem Grußwort, dass zum Gedenken mehr gehöre als Erinnerung, es bedeute, Verantwortung für die Zukunft zu übernehmen: „Vertreibung darf niemals Mittel der Politik sein.“ Sie betonte, dass der „Tag der Heimat“ auch zur Versöhnung mit den Menschen beitrage, die heute in den ehemaligen deutschen Ostgebieten leben. Es sei eine Versöhnung, die nicht Vergessen bedeute, sondern das ehrliche Bemühen beinhalte, „Brücken zu bauen, Verständigung zu suchen und eine gemeinsame Zukunft zu gestalten.“ Dass dies vielerorts gelinge, sei auch dem Engagement des Bundes der Vertriebenen und den Landsmannschaften im Hochtaunuskreis zu verdanken.
Für den Hochtaunuskreis sagte der Kreisbeigeordnete Stefan Schenk, dass der „Tag der Heimat“ auch daran erinnere, „wie stark die Geschichte von Flucht und Vertreibung unser Land, unsere Region und viele Familien geprägt hat“. Er würdigte, wie konstruktiv die deutschen Heimatvertriebenen mit ihrem harten, grausamen Schicksal umgegangen seien, und dass sie einen wesentlichen Beitrag beim Aufbau Deutschlands nach dem Krieg geleistet hätten. „Sie haben aber auch wichtige Brücken der Versöhnung in die ehemaligen Heimatgebiete geschlagen“, betonte er.
Die Feierstunde war umrahmt von klassischer Klaviermusik, die von Iryna Liakh dargeboten wurde. Im Anschluss an die Vorträge gab es Kaffee und Kuchen und Zeit für Austausch und Gespräche.
(Michael Ruffert)

