Die hessische Staatskanzlei und der Bund der Vertriebenen (BdV), Landesverband Hessen, hatten am 19.09.21 zum 8. Hessischen Gedenktag für die Opfer von Flucht, Deportation und Vertreibung sowie zum zentralen Tag der Heimat unter dem Motto "Vertreibungen und Deportation ächten - Völkerverständigung fördern" in die Rotunde des Schlosses Biebrich zu Wiesbaden eingeladen.
Zu diesem Festakt konnte BdV-Landesvorsitzender Siegbert Ortmann Ehrengäste aus Politik, Sozialverbänden sowie Vertreterinnen und Vertreter aus den hessischen BdV-Kreisverbänden und Landsmannschaften unter Corona-Bedingungen begrüßen. Ein besonderer Gruß galt dem hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier, dem hessischen Minister des Innern und für Sport Peter Beuth sowie der hessischen Landesbeauftragten für Heimatvertriebene und Spätaussiedler Margarete Ziegler-Raschdorf.
Die Vertriebenen hätten Hessen immens bereichert und zum Zusammenwachsen des Bundeslandes nach dem Krieg beigetragen. Ministerpräsident Bouffier in seiner Festrede: "Der vom nationalsozialistischen Deutschland entfesselte Krieg brachte Tod und Vernichtung über viele Völker Europas. In der Folge wurden zwischen 1945 und 1949 rund 15 Millionen Deutsche aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten gewaltsam aus ihrer über Jahrhunderte angestammten Heimat vertrieben. Viele haben von heute auf morgen ihre Wurzeln verloren. Trotz dieser gewaltsamen Veränderungen in ihrem Leben haben sie sich integriert und hier bei uns ein Zuhause gefunden. Diese Geschichte, die zur Geschichte aller Deutschen gehört, gilt es für die heutigen und kommenden Generationen lebendig zu halten".
Angesichts der aktuellen Ereignisse in Afghanistan und der diktatorischen Zustände in anderen Ländern dieser Welt machte Ministerpräsident Bouffier deutlich: „Die Geschichte von Flucht und Vertreibung ist keine Geschichte der Vergangenheit. Sie ist aktueller denn je. Flüchten, eine neue Heimat finden und ankommen - das hat in diesen Tagen für ganz viele Menschen eine ganz aktuelle Bedeutung.“ Die Flucht-Erfahrungen vieler Menschen von damals könnten „hier Mut und Perspektive geben“. Deswegen sei es so wichtig, diese Erinnerungen zu bewahren und weiterzuerzählen. „Die Geschichten, die hinter jedem einzelnen Menschen stehen, dürfen nicht in Vergessenheit geraten“, unterstrich Bouffier. Der Landesverband der Vertriebenen leiste hier wichtige Aufklärungsarbeit.
Der hessische Ministerpräsident ging auch auf das Schicksal der Deutschen aus Russland ein. Für diese Menschen wurde bereits das Jahr 1941 zum tragischen Wendepunkt in ihrer Geschichte: Mit dem Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 28. August 1941 "Über die Übersiedlung der Deutschen, die in den Wolga-Rayons leben“, der sich in diesem Jahr zum 80. Mal jährt, wurden die Russlanddeutschen aus dem europäischen Teil der Sowjetunion in Gebiete hinter den Ural, nach Kasachstan und Sibirien deportiert und mussten dort in Zwangsarbeitslagern schwerste körperliche Arbeit verrichten. Auch mit Kriegsende im Mai 1945 änderte sich das Schicksal dieser Menschen nicht.
Der so genannte „Stalinerlass“ bildete den Anfang einer systematischen repressiven Politik gegen deutsche Bürger der Sowjetunion. Sie mussten in jahrzehntelanger, erzwungener Verbannung in Sondersiedlungen leben, was zu einer dauerhaften Entwurzelung führte, da dieser Volksgruppe die nationale Identität geraubt wurde. Auch war es ihnen unter Strafandrohung verboten, die deutsche Sprache zu sprechen. Viele haben dadurch zwangsläufig ihre Sprachkenntnisse verloren. „Hessen ist mit den Heimatvertriebenen eng verbunden - in diesem Jahr gilt unser Gedenken der Deportation der Russlanddeutschen vor 80 Jahren“, unterstrich der Ministerpräsident.
Ziel ist es, auf die zahllosen Geschichten der Menschen aufmerksam zu machen, die gewaltsam ihre Heimat durch Flucht und Vertreibung verloren haben. In regelmäßigen Gesprächen tausche sich die Landesregierung mit dem Bund der Vertriebenen dazu aus, wie man junge Menschen mit diesem Thema konfrontieren könne. Ziel müsse es sein, die Erinnerung in die Zukunft zu tragen. "Wir wollen es nicht dem Zufall überlassen, ob ein junger Mensch von dieser Geschichte hört oder nicht. Genau aus diesem Grund hat Hessen auch als erstes Bundesland das Thema ‚Flucht und Vertreibung‘ im Kerncurriculum Geschichte für die Oberstufe verpflichtend verankert und zum Prüfungsbereich für die schriftliche Abiturprüfung erhoben. Damit die Schüler lernen, was war, und daraus Orientierung finden für das, was ist“, erklärte Bouffier.
Siegbert Ortmann hatte in seiner Begrüßungsansprache auf die weltweite Vertreibungssituation hingewiesen: "Am Tag der Heimat erinnern die Vertriebenen an ihre Heimat, an ihr Erbe, an ihren Verlust und damit auch daran, was eigentlich Heimat bedeutet. Dabei geht es ihnen nicht nur um ihr Schicksal, sondern um das Schicksal aller Vertriebenen weltweit. Es geht um das Recht auf Heimat! - Im Jahre 2020 waren es weltweit 82,4 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene und damit mehr als je zuvor.
Das Motto des diesjährigen Tages der Heimat lautet: „Menschenrechte achten – Vertreibungen ächten“. Es erinnert uns daran, dass in den 76 Jahren seit der Vertreibung der Deutschen das Recht auf ein Leben in der eigenen Heimat in vielen Teilen der Welt missachtet wird. Die Minderung von Fluchtursachen bleibt somit eine große Herausforderung unserer Zeit. Das Gedenken an Flucht und Vertreibung ist somit längst nicht mehr lediglich ein verbandsinternes Erinnerungsvorhaben unter Vertriebenen und deren Angehörigen, sondern inzwischen ein Gedenktag für alle Deutschen mit offiziellem Charakter und unter Mitwirkung von Repräsentanten aus Staat und Gesellschaft. Es muss deshalb weiterhin unser politisches Ziel sein, Vertreibungen nicht nur weiterhin international zu ächten, sondern alles dafür zu tun, sie zu verhindern, und nicht als einen Dauerzustand hinzunehmen. Denn, Menschenrechte sind unveräußerlich und das Recht auf Heimat gilt absolut - für jeden, immer und überall", so Ortmann in seinen Ausführungen.
An den Ministerpräsidenten gewandt, stellte die hessische Landesbeauftragte fest, dass die Pflege der Erinnerung und Kultur der Vertreibungsgebiete und die Eingliederung der Spätaussiedler bei ihm und seiner Landesregierung in den besten Händen sei. "Das Land Hessen übernimmt in vielerlei Hinsicht Verantwortung für die Heimatvertriebenen und Spätaussiedler und unterstützt die Arbeit der Vertriebenenverbände und Spätaussiedlerorganisationen seit vielen Jahren in großartiger und verlässlicher Weise. Unsere Anliegen treffen bei Staatsminister Beuth und Staatssekretär Dr. Heck auf offene Ohren und Türen. Dies gilt selbstverständlich auch für die Verbände und Landsmannschaften.
Die Vertriebenenarbeit und Eingliederung der Spätaussiedler lebt von dieser Förderung und ist darauf angewiesen. So bleiben die Verbände arbeitsfähig und auch zukunftsfähig. Dabei hat die Pandemie der Digitalisierung einen gewaltigen Schub versetzt und viele neue Projekte angestoßen. Die Hessische Landesregierung setzt hier eigene und zwar sehr beachtliche Maßstäbe - auch im Vergleich zu anderen Bundesländern!", so Margarete Ziegler-Raschdorf in ihren Dankesworten.
Die Veranstaltung wurde von der Blaskapelle Weindorf aus Johannisberg und vom Dialog Quartett Frankfurt musikalisch mitgestaltet.
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